Neuerungen bei Unterrichts- und Bildungsleistungen – neue Rechtsprechung des EuGH

18.01.2022 | Dr. Rafael Hörmann, Patrick Fischer

Inhalt
  1. 1. Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen von NPO außerhalb der dem Schul- und Bildungszweck dienenden Einrichtungen
  2. 2. Bisherige Linie des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofes
  3. 3. Neues Urteil des Europäischen Gerichtshofes Rs. Dubrovin & Tröger GbR – Aquatics zu Unterricht einer Schwimmschule
  4. 4. Praxishinweise und Ausblick

Nach derzeitiger Rechtslage und Auffassung der Finanzverwaltung sind Bildungs- bzw. Unterrichtsleistungen von gemeinnützigen Körperschaften, die keine dem Schul- und Bildungszweck dienenden Einrichtungen darstellen, umsatzsteuerfrei, sofern die Einnahmen überwiegend der Kostendeckung dienen.

Nach neuerer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (nachfolgend: „EuGH“) verstoßen die in Deutschland geltenden nationalen Befreiungsvorschriften gegen Unionsrecht. So ist nach Auffassung des EuGH ein spezialisierter bzw. punktueller Unterricht z.B. Schwimmunterricht einer Schwimmschule nicht mehr von der Steuerbefreiung erfasst. Sofern sich daher NPOs auf die derzeitige Gesetzeslage und Auffassung der Finanzverwaltung im Umsatzsteueranwendungserlass berufen, sollte bei Meinungsverschiedenheiten mit der Finanzverwaltung von gerichtlichen Auseinandersetzungen abgesehen werden.

Aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit der Befreiungsvorschriften ist mit einer Neuregelung zu rechen. Aus diesem Grunde sollte in einer worst-case-Betrachtung eine überschlagsmäßige Kalkulation mit umsatzsteuerpflichtigen Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen erfolgen. Hierbei ist auch ein mögliches Vorsteuerguthaben zu berücksichtigen.

1. Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen von NPO außerhalb der dem Schul- und Bildungszweck dienenden Einrichtungen

Derzeit sind Bildungsleistungen von NPOs, die keine dem Schul- und Bildungszweck dienenden Einrichtungen sind, nach § 4 Nr. 22 UStG unter den nachstehenden Voraussetzungen umsatzsteuerfrei:

  • Inhalt der Bildungsleistungen: Begünstigte Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen sind Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art. Nach Auffassung der Finanzverwaltung fallen hierunter Veranstaltungen, die als Erziehung von Kindern und Jugendlichen, als Schul- oder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung anzusehen sind (Abschnitt 4.22.1 Abs. 2 UStAE). Auch fällt Sportunterricht unter die Steuerbefreiung, sofern der Gedanke des Wettkampfes bzw. Leistungssportes im Vordergrund steht (Abschnitt 4.22.1 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2). Leistungen der Beherbergung und Beköstigung sind nur unter strengen Voraussetzungen von der Steuerbefreiung mitumfasst (z.B. Butterbrezen und Kaffee sowie Unterbringung in angemessener Unterkunft) (Abschnitt 4.22.1 Abs. 3 Satz 5 UStAE; BFH, Urteil vom 7. Oktober 2010 – V R 12/10, BStBl. 2011 II, 303). Einen Unterrichtsplan sowie eine Abschlussprüfung fordert die Finanzverwaltung nicht (Abschnitt 4.22.1 Abs. 4 Satz 4 UStAE).
  • Steuerbegünstigter Leistungserbringer: Die Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen müssen von einem steuerbegünstigten Leistungserbringer erbracht werden. Steuerbegünstigte Rechtsträger im Sinne von § 4 Nr. 22 UStG sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, Volkshochschulen, sowie Einrichtungen, die dem Zweck eines Berufsverbandes oder gemeinnützigen Zwecken dienen. Hierbei umfasst der Begriff des „Berufsverbandes“ richtigerweise auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Der Begriff der den gemeinnützigen Zwecken dienenden Einrichtung umfasst neben den gemeinnützigen Körperschaften auch mildtätige und kirchliche Rechtsträger.
  • Verwendung der Einnahmen zur Kostendeckung: Die Einnahmen aus den Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen müssen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden. Mithin schließt eine Marge von 50 % bereits die Steuerbefreiung aus. Maßgeblich ist hierbei eine veranstaltungsbezogene Betrachtung.

Bei der Steuerbefreiung handelt sich nicht um ein Wahlrecht. Liegen die Voraussetzungen vor, so sind die Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen zwingend umsatzsteuerfrei. Mithin darf die NPO auf ihren Rechnungen keine Umsatzsteuer ausweisen und ihr steht aus den Eingangsleistungen (=Leistungen, die für Zwecke der Erbringung von Bildungsleistungen bzw. Unterrichtsleistungen bezogen werden) kein Vorsteuerabzug zu.

2. Bisherige Linie des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofes

Die bisherige Rechtsprechung des EuGH (insbesondere Rs. Eulitz, Urteil vom 28. Januar 2010, C-473/08) vermied eine eindeutige Definition des Schulunterrichts und des Hochschulunterrichts.

Nach Auffassung des EuGH beschränkte sich der Begriff des Schulunterricht bzw. Hochschulunterrichts nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt. Erfasst waren vielmehr auch die Unterweisung in Schulen und Hochschulen, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln. Nicht mehr erfasst waren jedoch Tätigkeiten, die der bloßen Freizeitgestaltung dienten.

Der BFH schloss sich dieser Rechtsprechungslinie an, sodass für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung bereits ein Bezug zu Schul- oder Hochschulunterricht ausreichte (BFH, Urteil vom 5. Juni 2014 – V R 19/13).

3. Neues Urteil des Europäischen Gerichtshofes Rs. Dubrovin & Tröger GbR – Aquatics zu Unterricht einer Schwimmschule

Der EuGH entschied mit Urteil vom 21. Oktober 2021 (Az. C-373/19), dass die Erteilung von Schwimmunterricht durch eine Schwimmschule nicht als „Schul- und Hochschulunterricht“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und Buchst. j der Mehrwertsteuersystemrichtlinie steuerbefreit ist.

Der EuGH legte hierbei den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in vorstehender Entscheidung eng aus und definiert den Schul- und Hochschulunterricht als

integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen“.

Schwimmunterricht einer Schwimmschule stellt nach Auffassung des EuGH nur einen spezialisierten sowie punktuellen Unterricht dar und erfüllt vorstehende Voraussetzungen nicht.

4. Praxishinweise und Ausblick

Vorstehende Entscheidung hat nicht nur Auswirkungen auf die Steuerbefreiung für Schulunterricht bzw. Hochschulunterricht, sondern betrifft darüber hinaus auch die Steuerbefreiung für sonstige Bildungsleistungen (§ 4 Nr. 21 UStG). Denn die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen beruht auf denselben unionsrechtlichen Steuerbefreiungsvorschriften wie die Steuerbefreiung für Schulunterricht bzw. Hochschulunterricht. Demzufolge ist die deutsche Umsetzung der unionsrechtlichen Steuerbefreiungen richtlinienwidrig.

Insbesondere für Anbieter mit spezialisierten bzw. punktuellen Unterrichtsangeboten droht künftig die Umsatzsteuerpflicht. Die Finanzverwaltung wendet die Umsatzsteuerbefreiungen aktuell weiterhin an. Für bereits vergangene Veranlagungszeiträume besteht Vertrauensschutz. Die Finanzgerichtsbarkeit hingegen legt bereits jetzt regelmäßig einen strengeren Maßstab an. Demnach sollten NPOs, die ihre Unterrichts- bzw. Bildungsleistungen steuerfrei behandeln möchten, nicht vor die Finanzgerichte gehen. Existiert hingegen ein potenzieller erheblicher Vorsteuerüberhang (z.B. bei Bau eines Schulungszentrums), so können sich NPOs auf das für sie günstigere Unionsrecht berufen.

Aufgrund der nicht hinnehmbaren Rechtslage ist mit einer Gesetzesnovellierung zu rechnen. Hierbei könnte der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2019 formulierte Vorschlag der Bundesregierung wiederaufgegriffen werden, der neben einer Aufhebung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG folgende Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG vorsah:

„a) Schul- und Hochschulunterricht, Ausbildung und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Lieferungen und sonstige Leistungen, die durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, erbracht werden. Leistungen nach Satz 1 sind auch steuerfrei, wenn sie von anderen Einrichtungen erbracht werden, deren Zielsetzung mit der einer Bildungseinrichtung des öffentlichen Rechts vergleichbar ist. Einrichtungen im Sinne des Satzes 2 sind Einrichtungen, die Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die geeignet sind, einen Schul- und Hochschulabschluss oder einen Berufsabschluss oder berufliche Kenntnisse durch Fortbildung zu erwerben, zu erhalten oder zu erweitern. Schul- und Hochschulunterricht umfasst die Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Inhalten je nach Fortschritt und Spezialisierung der Schüler und Studierenden. Die Begriffe Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung werden in Artikel 44 Satz 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 definiert. Fortbildung ist nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen erbracht wird, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden,

b) Schul- und Hochschulunterricht, der von Privatlehrern persönlich erteilt wird. Buchstabe a Satz 4 bis 6 gilt entsprechend.

Nicht befreit sind Leistungen, die nach ihrer Zielsetzung der reinen Freizeitgestaltung dienen. Für die in den Nummern 15b und 15c bezeichneten Leistungen kommt die Steuerbefreiung nur unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht.“

Aufgrund der misslichen Lage empfehlen wir betroffenen NPOs, eine überschlagsmäßige Kalkulation mit umsatzsteuerpflichtigen Bildungs- bzw. Unterrichtsleistungen unter Berücksichtigung potenzieller Vorsteuerguthaben vorzunehmen und die aktuellen Entwicklungen verfolgen.

Autoren
Dr. Rafael Hörmann
Rechtsanwalt / Fachanwalt für Steuerrecht
CHP Rechtsanwalt & Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, München
Homepage: https://npo-experten.de/de/

Patrick Fischer
Rechtsanwalt und Steuerberater
CHP Rechtsanwalt & Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, München
Homepage: https://npo-experten.de/de/